Standard vom 28. Jänner 2022

In sozialen Netzwerken beschweren sich Gläubige bei ÖVP-Politikern über die Zustimmung der Partei zum Gesetz

„Möge der Herr euch auf den richtigen Weg bringen“ – eine ÖVP-Wählerin hat zumindest noch Hoffnung. Ihre Enttäuschung ist dennoch groß: Als Christin mache sie die Zustimmung zur Impfpflicht durch ÖVP-Abgeordnete „sehr traurig. Deshalb haben wir euch nicht gewählt.“

Die Frau ist nicht allein. Auch andere Christinnen und Christen üben wegen der Impfpflicht scharfe Kritik an der ÖVP, manche kündigen deswegen sogar die Abkehr von den Türkisen an.

Zwei christliche Aushängeschilder
Zu lesen sind die Unmutsäußerungen vor allem auf den Facebook-Seiten zweier Aushängeschilder der Partei in der christlichen Community: Nationalratsabgeordnete Gudrun Kugler – sie blieb der Abstimmung fern, äußerte sich zu den Gründen aber nicht – und der Sprecher für Christdemokratie der Wiener ÖVP, Jan Ledóchowski.

Letzterer setzt auf Dialog – zumindest lässt er Kritikerinnen wissen, dass er ihre Sorgen ernst nehme. „Wenn alles in der Welt bloß schwarz und weiß wäre und man immer wüsste, was das Richtige ist“, schreibt er an einer Stelle. Ein klares Bekenntnis zur Impfpflicht sieht anders aus. Da Ledóchowski kein Nationalratsabgeordneter ist, musste er ein solches aber auch nicht abgeben.

Zoom-Call
Zum STANDARD sagt er, es gebe gute Gründe für die Impfpflicht. Das Gesetz sei so gestaltet, dass die Regierung flexibel reagieren könne, je nachdem, wie sich die Pandemie weiterentwickle. „Ich hoffe, die Impfpflicht muss gar nicht erst in Kraft treten.“ Dass sich viele aus dem christlichen Lager über das Go der Türkisen echauffierten, überrasche ihn nicht. „Kritik an der Impfpflicht lässt sich an keiner Gesellschaftsschicht festmachen, die gibt es überall.“ Vor der Abstimmung zur Impfpflicht habe Ledóchowski einen Zoom-Call gestartet. „Wir haben bewusst Kritiker eingeladen und gesagt, wir wollen euch hören.“ Er sehe es als seine Aufgabe, jene, die nun enttäuscht sind, zurückzuholen. „Wir sitzen alle im selben Boot und wollen, dass Corona ein Ende nimmt. Vielleicht können wir uns auf das einigen.“

Welche Sorgen es gibt
Die am häufigsten geäußerten Bedenken würden sich um die Einschränkung der Freiheitsrechte drehen, sagt Ledóchowski. Argumente gegen die Impfung per se kämen seltener. Wenn, dann wird behauptet, für die Impfstoffgewinnung sei auf Zelllinien abgetriebener Föten zurückgegriffen worden, ein No-Go für Abtreibungsgegner. Tatsächlich bedeutet der Begriff „Zelllinie“, dass diese einmalig angelegt wurde, schreibt das deutsche Paul-Ehrlich-Institut. Es würden nicht immer neue Föten benötigt und auch keine Kinder zu diesem Zweck abgetrieben. Ledóchowski sieht das „tatsächlich als ethisch sehr problematisch und als validen Kritikpunkt.“

Offizielle Position der Katholischen Kirche
Die Bischofskonferenz unterstützt die Maßnahmen der Regierung: „Freilich gibt es auch unter Katholiken Kritik an dieser Position der Kirchenleitung. Es gibt aber keine Anhaltspunkte dafür, dass unter Gläubigen die Kritik an der Corona-Impfung größer wäre als in der Gesamtgesellschaft“, sagt Sprecher Paul Wuthe. Ledóchowski merkt an, dass es natürlich nicht nur Katholiken gibt – und selbst da natürlich nicht alle die Positionen der Bischofskonferenz überprüfen. Auch auf der Facebook-Seite von Gudrun Kugler ist Kritik wegen der Impfpflicht nachzulesen. Die Menschenrechtssprecherin der ÖVP geht darauf allerdings nicht ein, was für zusätzlichen Unmut sorgt.

„Message Control“ bei Kugler
Etwa von Andreas Kirchmair, der sich selbst als „Lebensschützer“ bezeichnet. Er postete zunächst auf Kuglers Seite. Das Posting sei dann aber gelöscht worden. Kirchmair ließ nicht locker, verfasste einen offenen Brief und verwies darauf. Auch der Post sei verschwunden. Für Kirchmair ein Zeichen „rigider Message-Control“. Von Kugler forderte er, aus dem ÖVP-Klub auszutreten, denn anstatt als christliche Politikerin zu fordern, „dass Pharmaprodukte, die mit Zellen abgetriebener Babys produziert wurden, boykottiert werden“, wolle sie die Bürger sogar zwingen, sie sich injizieren zu lassen. Eine Anfrage des STANDARD an Kugler blieb unbeantwortet. (Lara Hagen, 28.1.2022)