Nachdem der Verfassungsgerichtshof das strafrechtliche Verbot der Beihilfe zum Suizid als verfassungswidrig aufhob und dem Gesetzgeber bis Ende 2021 Zeit ließ, Begleitmaßnahmen zu erlassen, legte die Bundesregierung buchstäblich in letzter Minute das Sterbeverfügungsgesetz vor, das nun begutachtet wird. Stellungnahmen können bis 12. November von Bürgern bzw. Institutionen, wie etwa Vereinen oder Kirchen, hier eingebracht werden.
Dr. Stephanie Merckens, Juristin und Leiterin der Abteilung Politik am Institut für Ehe und Familie (IEF), sieht das nun vorliegende Konzept ambivalent:
„Es muss uns klar sein, dass der Dammbruch durch den Verfassungsgerichtshof erfolgt ist. Dieser hat mit seiner extensiven Interpretation des Selbstbestimmungsrechts das generelle Tötungsverbot durchbrochen und den staatlichen Auftrag zum Schutz des Lebens unterminiert. Damit hat er es dem Gesetzgeber nicht leicht gemacht, den Spagat zwischen Selbstbestimmungsrecht und Schutz vor Erwartungsdruck und Entsolidarisierung zu regeln. Im Grund blieb ihm nur noch die Verwaltung des Dammbruchs übrig.“
Durch die weiter bestehende grundsätzliche Strafbarkeit der Suizidbeihilfe hält der Gesetzgeber den Vorrang der Suizidprävention aufrecht. Das wird auch durch eine Werbeverbot und ein Verbot der Gewinnerzielung unterstützt.
Was vom Anwalt, der die vier Sterbewilligen vor dem VfGH vertreten hat, kritisch gesehen wird, ist mir Sicherheit gut geregelt. Darunter fällt beispielsweise, dass die Sterbeverfügung wesentliche strengere Kriterien erfüllen soll, als die Patientenverfügung. Die Patientenverfügung ist acht Jahre gültig, die Sterbeverfügung nur ein Jahr, zudem muss ein Notar sie errichten, während bei der Patientenverfügung dies auch Anwälte tun können. Auch die Beschränkung auf dauerhaft schwer bzw. und unheilbar Kranke sei Ausdruck eines „Paternalismus“.
Sehr positiv ist, dass die Finanzierung der Hospiz- und Palliativversorgung substanziell und flächendeckend ausgebaut wird. Damit erfüllt die Bundesregierung ihr Versprechen, die Hospiz- und Palliativversorgung in die Regelfinanzierung zu übernehmen.
Positiv ist auch, dass ein mehrstufiger Prozess der Beratung und eine 12 Wochen Bedenkzeit vorgesehen sind. Nicht nachvollziehbar ist, dass im Zuge der Beratung kein verpflichtendes psychologisches Gespräch vorgesehen ist, obwohl sich hinter einem Todeswunsch nicht selten eine tiefsitzende Depression versteckt.
Weitere Kritikpunkte umfassen die Bezeichnung „Sterbeverfügungsgesetz“. Sie verschleiert worum es tatsächlich geht, nämlich um das Ersuchen zur Beihilfe zum Selbstmord. Deshalb sollte der Name des Gesetzes geändert werden und der „Beihelfer“ als „Täter“ oder als „Suizidbeihelfer“ bezeichnet werden. Wichtig wäre auch, dass in der Verfügung dieser Suizidbeihelfer namentlich genannt wird, sodass nur er sich darauf berufen kann.
Auch die Gewissensklausel sollte noch überarbeitet werden. Apotheker sollten ausdrücklich dasselbe Entschlagungsrecht haben wie Ärzte. Es sollte ausdrücklich klargestellt sein, dass der Staat nicht verpflichtet ist, die tatsächliche Durchführbarkeit des Selbstmordes zu gewährleisten. Auch das Gebot, dass Ärzten für eine Beteiligung an der Beihilfe zum Suizid keine negativen Konsequenzen erwachsen darf, schränkt die Freiheit z.B. von Ordensspitälern ein, sich von solchen Ärzten zu trennen, um ihre weltanschauliche Ausrichtung beizubehalten.
Die größte Enttäuschung ist aber, dass das Verbot der Tötung auf Verlangen nicht verfassungsrechtlich abgesichert worden ist, obwohl sich nach dem Urteil des VfGH im Vorjahr fast alle Parlamentsparteien klar „für ein striktes Verbot“ ausgesprochen haben. Diese vertane Chance ist sehr bedauerlich.
Wichtige Links
- Webseite des Parlaments zum Sterbeverfügungsgesetz
- Webseite für die Stellungnahme zum Sterbeverfügungsgesetz
- Analyse des Instituts für Ehe und Familie
- Stellungnahme des Salzburger Ärzteforums für das Leben
- Stellungnahme des ÖCV
- Stellungnahme von Bischof Glettler
- Stellungnahme der Ordensgemeinschaften
- Zeitungsbericht zur Position der Diakonie
Die Stellungnahme der FKÖ und der serbisch-orthodoxen Kirche lag zum Zeitpunkt der Erstellung noch nicht vor und wird nachgereicht.