Zwei ÖVP-Politiker kritisieren moderne Sexualpädagogik
Standard vom 15.10.2021
Der „Sprecher für Christdemokratie“ lobt hingegen die ungarische Familienpolitik. Die Regenbogenfahne habe in katholischen Kindergärten nichts verloren
Traditionen spielen in nahezu jeder politischen Bewegung oder religiösen Gruppierung eine wichtige Rolle. Eine Bewegung, wo darauf zweifellos viel Wert gelegt wird, ist die sogenannte Lebensschutz-Bewegung. Und so kommt es, dass auch heuer in Wien der sogenannte Marsch fürs Leben abgehalten wird – eine Veranstaltung von mehreren christlichen Initiativen, die sich gegen jede Form von Abtreibung engagieren.
Hohe Vernetzung mit der Politik
Der Duktus der Forderungen lässt es schon vermuten: Die Gruppierungen, die zum Marsch fürs Leben aufrufen, sind größtenteils einem sehr konservativen Flügel innerhalb des Christentums zuzuordnen. Interessant ist die Zusammenkunft vor allem deshalb, weil Gruppierungen beteiligt sind, die man als durchaus gut vernetzt mit der Politik bezeichnen kann, zumindest einer der Veranstalter – Alexander Tschugguel – knüpft an das rechte Lager an. Verbindungen ins christlich-soziale Lager gibt es einige: Offiziell unterstützt wird der Marsch von der Katholischen Hochschulgemeinde, dem Bund Evangelikaler Gemeinden, dem Österreichischen Cartellverband sowie der Plattform Christdemokratie – keine kleine NGO, sondern eine Initiative im Umfeld der ÖVP.
Viele türkise Bezirkspolitiker sind in der Organisation aktiv, Präsident ist Jan Ledóchowski, seines Zeichens Kandidat für die Wiener ÖVP bei den Gemeinderatswahlen im Herbst 2020 und als solcher quasi Vorzugsstimmenkaiser – 1.758 Menschen gaben ihm seine Stimme. Zum Vergleich: Die Listenzweite der ÖVP, Landesgeschäftsführerin Bernadette Arnoldner, erhielt 1.565 Vorzugsstimmen.
Allerdings: Weil eine ÖVP-Kandidatin nicht zugunsten der Vorzugsstimmensieger auf ihr Mandat verzichtete, zog Ledóchowski nicht wie erhofft in den Gemeinderat ein. Das gleiche Schicksal traf Suha Dejmek, die ebenfalls aus dem christlichen Lager kommt und im Vorstand der Plattform Christdemokratie sitzt. Ledóchowski, der früher auch als Moderator beim Marsch tätig war, wurde stattdessen „Bereichssprecher für Christdemokratie“ im türkisen Rathausklub.
Sexualkunde im Fokus
Zurück zur Plattform Christdemokratie: Seit einiger Zeit wird hier für eine Veränderung im Sexualkundeunterricht eingetreten. Die Plattform ist für die Initiative Kindergerecht laut Impressum verantwortlich, Initiatorin ist Dejmek. Das Thema sei ihr ein Anliegen, weil ihr Sohn durch Sexualkundeunterricht verstört worden sei. Sie war deswegen auch bei einer Pressekonferenz des Vereins Teenstar – engagiert habe sie sich bei dem Verein, der Aufklärungsworkshops an Schulen durchführte, wo unter anderem hinterfragt wurde, ob Homosexualität „Schicksal“ sein müsse, aber nie, sagt Dejmek.
Die Initiative Kindergerecht schlägt solche erzkonservativen Töne nicht an, de facto wird aber für eine Abkehr von moderner Sexualpädagogik geworben. Es sind zum Teil schwere Vorwürfe, die erhoben werden: In der in Österreichs Schulen praktizierten Sexualpädagogik werde Sexualität einseitig und methodisch fragwürdig in den Vordergrund gestellt, gleichzeitig gebe es keine „klare Grenzziehung zum Missbrauch“. Man fordere daher, dass die aktuellen Erlässe, die den Unterricht regeln, geändert werden.
Die Initiative hat bisher mäßigen Zuspruch bekommen: Gut 3.300 Unterstützer haben sich online eingetragen, heißt es laut eigenen Angaben. Dennoch konnten durchaus prominente Unterstützerinnen und Unterstützer gewonnen werden, etwa die Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde, ein Psychotherapeut und ein Schuldirektor und Bildungsexperte.
Was die Initiative an Aufklärung kritisiert
Konkret stößt sich die Initiative an einem 2015 vom Bildungsministerium herausgegebenen Grundsatzerlass Sexualpädagogik. Dieser ist umfangreich und beschreibt neben konkreten Handlungsanweisungen auch Hintergrund und Zielsetzung von Sexualpädagogik. Darin ist etwa zu lesen: „Sexuelle Entwicklung ist Teil der gesamten Persönlichkeitsentwicklung des Menschen und verläuft auf kognitiver, emotionaler, sensorischer und körperlicher Ebene.“ Besonders zuwider läuft der Initiative die Ansicht, dass Sexualpädagogik laut diesem Erlass bereits in der frühen Kindheit beginnt und sich bis ins Erwachsenenalter fortsetzt.
Zum anderen werden die von der WHO formulierten Standards, an denen sich auch der österreichische Erlass orientiert, stark kritisiert. Ebenso der Bildungsplan der Stadt Wien. Dort heißt es zum Beispiel: „Alle Kinder sollen im Kindergarten ein unbefangenes Verhältnis zu ihrem Körper und seinen Ausdrucksweisen entwickeln können. Ihre Fragen zu Sexualität benötigen klare und situationsangemessene Antworten. Sexualpädagogik geht aber weit über biologische Informationen hinaus. Eine geschlechtersensible Sexualpädagogik begleitet Mädchen und Buben dabei, ihre geschlechtliche Identität zu finden. Die Geschlechtszugehörigkeit eines Kindes ist ein wesentlicher Einflussfaktor für das gesamte Leben.“ Dass hier explizit betont wird, dass es nicht nur das biologische, sondern auch das soziale Geschlecht gibt, geht mit den Grundsätzen der Bürgerinitiative nicht einher.
Ein Ungarn-Gesetz für Österreich?
Initiatorin Dejmek wünscht sich Aufklärungsunterricht, der vor allem alters- und entwicklungssensibel erfolgen soll. Und: „Eine Aufklärung an der Schule ist sinnvollerweise in Zusammenarbeit mit den Eltern durchzuführen.“ Diese sollen laut ihr mindestens acht Wochen vor einem Aufklärungsworkshop über die konkreten Inhalte informiert und eingebunden werden, so Dejmek.
Soll im Aufklärungsunterricht auch Platz für LGBTQI-Themen sein? Die Unternehmensberaterin sagt dazu, dass Kindern und Jugendlichen ein „ganzheitlicher und umfassender Ansatz“ vermittelt werden müsse, „dazu zählt auch in adäquater Gewichtung das in den Communities unterschiedlich bewertete Thema LGBTQI“. Ein Informationsverbot, wie es in Ungarn gilt, hält Dejmek für „nicht sinnvoll“, denn sie sei grundsätzlich der Meinung, „dass man in einer demokratisch-liberalen Gesellschaft über alles respektvoll reden und sich auf Augenhöhe austauschen können sollte“. Nachsatz: „Aber eben nicht die Intimsphäre verletzend oder für Kinder und Jugendliche grenzüberschreitend, wie das in diesem hochsensiblen Kontext offensichtlich öfter geschieht.“
Pride Month: „Traurig, dass auch die Kirche nicht frei davon ist“
Auch Ledóchowski, der ÖVP-Bereichssprecher für Christdemokratie der ÖVP, vertritt diese Linie. Er merkt an, dass laut ungarischer Botschaft sehr wohl über unterschiedliche sexuelle Ausrichtungen an ungarischen Schulen informiert werden könne. Auch Hierzulande solle über LGBTQI informiert werden. Allerdings nur, wenn der Unterricht den „religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen“ der Eltern folgen würde. Österreich sei dazu durch die Menschenrechtskonvention verpflichtet, wie er ausführt.
Kommentare auf der privaten Facebook-Seite von Ledóchowski sind weit weniger diplomatisch formuliert. Unter ein Posting, in dem sich eine Frau darüber aufregt, dass im „Pride Month“ Juni im katholischen Kindergarten Regenbogenfahnen gebastelt wurden, schreibt Ledóchowski: „Echt traurig, dass auch die Kirche nicht frei davon ist.“ Darauf angesprochen, sagt der Politiker: „Die Regenbogenfahne ist mittlerweile leider ein ideologisch besetztes Symbol geworden. In diesem Zusammenhang ist es für mich persönlich als Katholik irritierend, wenn Kinder in einem katholischen Kindergarten dazu angehalten werden, Regenbogenfahnen zu basteln.“
Unter einem Beitrag über angeblich verstörenden Sexualkundeunterricht in Wien schreibt eine Frau „Aber wenn Orbán genau das verbieten will, schreien s‘ alle ‚Homophobie‘.“ Ledóchowski gefällt auch dieser Beitrag. Damit konfrontiert, sagt der ÖVP-Mann, es sei nicht diskriminierend, ein Verbot nicht kindgerechter Aufklärung zu fordern. Die Familienpolitik von Viktor Orbán bezeichnet er auf Facebook als „hands-on und praxisnah“.
Flirt mit Erzkatholiken
Die Forderungen und Initiativen der beiden Hardliner gehen auch so manchem Parteikollegen bzw. Parteikollegin zu weit. Es heißt, man sei in der Wiener ÖVP gar nicht so unglücklich damit, dass Dejmek und Ledóchowski durch den Eklat – der übrigens das ganze Vorzugsstimmensystem der Partei zu Fall brachte – ihre Mandate nicht antreten konnten. „On the record“ will das allerdings niemand sagen. Die zahlreichen Stimmen aus dem Lager, viele davon aus Freikirchen, will man nicht verlieren. Beispiele für den Flirt der ÖVP mit radikalen Christen gibt es viele – etwa dass Sebastian Kurz in der Wiener Stadthalle bei einem Mega-Gebet der Freikirchen dabei war oder das Gebet im Parlament.
Auf die Frage, was der „Sprecher für Christdemokratie“ bei der ÖVP für ein Gehalt bezieht, antwortet die Partei nur mit dem Hinweis, dass Ledóchowski auch Referent im Klub sei, „unter anderem in Bereichen wie Integration und parlamentarische Verwaltung“. Warum er zum Marsch fürs Leben geht, erklärt er in einem kurzen Video: „Ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der jedes Leben zählt.“ (Vanessa Gaigg, Lara Hagen, 15.10.2021)