Bericht in der Tagespost vom 24.09.2020
Mit Charme und heiligen Tanten
„In meiner Familie verband sich das Katholische mit dem Freiheitskampf“ – Jan Ledóchowski will die politische Atmosphäre in Österreich verwandeln und jenen eine Stimme geben, die sonst keine haben
Von Stephan Baier – Die Tagespost
Jan Ledóchowski ist ein Familienmensch. Der dynamische Vater von vier kleinen Kindern werkte als Jurist für die „Familie & Beruf Management GmbH“, um Unternehmen dabei zu helfen, familienfreundlicher zu werden. Jetzt, nach der Geburt von „Baby Nummer Vier“, ist er selbst in Väter-Karenz und kandidiert nebenbei für den Wiener Gemeinderat, der – weil Wien Stadt und Bundesland ist – zugleich der Landtag ist.
„Ich spüre, dass ich das machen muss, aber ich werde es nicht auf Kosten meiner Familie machen“, sagt er beim Interview in einem traditionsreichen Wiener Kaffeehaus. Und: „Es ist kein Wunder, dass die meisten Politiker keine Kinder haben. Es ist fast nicht vereinbar.“
Weil genau das aber den Blick verschiebt und zu Lasten von Kindern und Familien geht, legt Ledóchowski sich ins Zeug. Als Präsident der „Plattform Christdemokratie“ und – falls er am 11. Oktober genug Vorzugsstimmen erhält – bald auch als Wiener Gemeinderat, will der 37-Jährige die Atmosphäre in Österreich verwandeln: „Wir Christen haben eine Verantwortung und dürfen uns nicht aus der Gesellschaft zurückziehen.“ Er will „die Stimme erheben für die, die sonst keine Stimme haben“ lächelt er. In der Bibel waren das die Witwen und Waisen, aber „Die Waisen von heute sind die ungeborenen Kinder, und die Witwen sind jene, die euthanasiert werden.“
Und so erhob der emsige Jungpolitiker seine Stimme, als der prominente Wiener Abtreibungsarzt Christian Fiala im Vorjahr ausgerechnet im Advent eine Benefizaktion startete, um einer Schwangeren in Not die Abtreibung zu finanzieren. „Ich konnte nicht zuschauen! Ausgerechnet zu Weihnachten!“ Hier werde das christliche durch „ein neues Narrativ für unsere Gesellschaft“ ersetzt, durch das von der unbegrenzten Selbstbestimmung und dem Triumph des Willens über den Körper.
Ledóchowski meldete eine Gegendemonstration an: einen Adventpunsch mit Weihnachtsliedern, geografisch gleich vis á vis. Gesammelt wurde hier für eine schwangere Mutter in Not: am Ende waren es 8.000 Euro für das Leben. Mehr als Ledóchowski erhofft hatte, darum gründete er spontan einen Notfall-Fonds für Schwangere und ihre Kinder. Zuletzt rief er dazu auf, die Wirtshaus-Gutscheine der Stadt Wien dafür zu spenden. Wieder kamen ein paar tausend Euro zusammen.
Wie gesagt, Jan Ledóchowski ist eine Familienmensch. Einer, der von den eigenen Babys schwärmen kann. Und einer, der seine Familienhistorie im Kopf hat. Das ist nicht wenig, denn das polnisch-altösterreichische Grafengeschlecht Ledóchowski hat nicht nur einen Erzieher von Kaiser Franz-Josef, einen Adjutanten von Kaiser Karl sowie etliche Generäle und Abgeordnete hervorgebracht, sondern auch eine Heilige, eine Selige und einen Jesuitengeneral.
Die drei Letztgenannten waren Geschwister, und Jan Ledóchowski würde allzu gerne eine Dissertation über ihre Korrespondenz in Auftrag geben: „Wladimir kam im alten Österreich zur Welt, in Loosdorf bei Melk, und war von 1915 bis 1942 Jesuitengeneral. Seine beiden Schwestern haben je einen Orden gegründet, ein weiterer Bruder kam als polnischer General in einem KZ ums Leben, weil er sich weigerte sich vom Widerstand loszusagen“, referiert er. Die erstaunlichen Geschwister – alle vier recht durchsetzungsstark und glaubensfest – waren ein Dauerthema in der Familie: „Ich bin mit zwei seligen Tanten aufgewachsen. Es schien völlig normal, dass man heilig werden kann.“
Die heilige Ursula Ledóchowska wirkte im zaristischen St. Petersburg, dann ab 1914 in Stockholm, organisierte als Ordensfrau rauschende Bälle, um ein Waisenhaus zu finanzieren, und wird in Polen bis heute als „Mutter der Unabhängigkeit“ verehrt. Von der heiligen Urgroßtante hat Jan Ledóchowski nicht nur die Unerschrockenheit im Glaubenszeugnis und den Sinn für praktische Aktionen geerbt, sondern auch das politische Gen.
Was er an den Tanten, die zur Ehre der Altäre erhoben wurden, am meisten bewundert? „Sie stellten ihr ganzes Leben in den Dienst an Gott und dem Nächsten und haben dabei eine unglaubliche Schaffenskraft und Kreativität entfaltet“, sagt er ohne Zögern. Schmunzelnd ergänzt Ledóchowski, dass Papst Pius XII auch für deren Bruder Wladimir, den Jesuitengeneral, ein Seligsprechungsverfahren eröffnete. Das hätten die Jesuiten irgendwann eingestellt – „vielleicht war er ihnen zu autoritär“.
„Avorum respice mores“ (achte die Sitten der Vorfahren“, lautet der Wappenspruch der Ledóchowskis. Dazu gehöre auch der Freiheitsdrang, dem sich der ÖVP Gemeinderatskandidat von Platz 33 verpflichtet weiß. Ein weiterer Urururgroßonkel war Erzbischof und Kardinal, der saß zu Zeiten von Bißmarcks Kulturkampf drei Jahre im Kerker: „In meiner Familie verband sich das Katholische mit dem Freiheitskampf!“
Heute gehe es etwa um die Meinungsfreiheit – für Inhalte, die nicht populär sind. Jan Ledóchowski spricht über die Berufung des Menschen zur Freiheit, über die Grenzen, die seine Natur dem Menschen setze, über das christliche Menschenbild, das die gesamte Kultur Europas geprägt habe. Und über den „großen Angriff“ auf die Menschenwürde durch Abtreibung und Euthanasie. „Ich glaube an Gott, und daran, dass er in die Geschichte eingreift.“ Ledóchowski glaubt auch daran, dass er sich in die politische Schlacht werfen muss, um daran mitzuwirken, dass die christliche Zivilgesellschaft ihre Werte in die Politik einbringt. Unterstützt wird der leidenschaftliche Katholik dabei auch von Kopten, Orthodoxen und Freikirchlichen.
Mit der „Ehe für alle“, die sich seine Partei vom Verfassungsgerichtshof vorschreiben ließ, ist Ledóchowski bis heute nicht einverstanden. „Die ÖVP hat sich 40 Jahre immer dagegen gewehrt, trat auch 2017 noch mit dem Anspruch an, sie nicht einzuführen. Aber als das Höchstgerichtsurteil dann da war, gab es keiner Mehrheit dafür, dagegen vorzugehen.“
Ihm selbst geht es darum, „zur Willensbildung beizutragen, auch innerhalb der eigenen Partei“. Dafür könne man auf jeder politischen Ebene arbeiten. „Ich will die politische Kultur ändern“, sagt Ledóchowski mit gewinnendem Lächeln. Auch das hat er dem Vernehmen nach von seiner heiligen Ururgroßtante Ursula geerbt. Dass die ÖVP ihn auf Listenplatz 33 gereiht hat, sieht er als Vorteil: Wenn die Vorzugsstimmen – knapp 900 seien nötig – ihn dennoch in den Wiener Gemeinderat hieven, verdankt der die Wahl ganz seinen persönlichen Wählern. Je weiter hinten gereiht, desto unabhängiger von der eigenen Partei – so lautet die Logik. Ein Revoluzzer gegen das ÖVP Partei-Establishment ist er sicher nicht, aber: „Wenn der Thomas-Morus-Moment kommt, dann ist es eben so!“